Nachbarschaften

Wie in allen Viertälerorten haben auch in Steeg die Brunnennachbarschaften eine lange Tradition.
Es ist nicht bekannt, ob sie auch in früherer Zeit ihre Existenz ausschließlich der gegenseitigen nachbarlichen Hilfe und der Instandhaltung der öffentlichen Brunnen verdanken.

Steeg ist auch heute noch in die neun Nachbarschaften Nauheim, Giebelspforte, Grindel, Hinterweg, untere Biesel, obere Biesel, Lennenborn, mittlere Borbach und obere Borbach (Hipp) unterteilt.
Jede der Nachbarschaften führt ein Nachbarschaftsbuch. Das älteste Exemplar aus dem Jahre 1809 besitzt die Nachbarschaft „obere Biesel“.
Man erfährt in diesen alten Aufzeichnungen jedoch nichts über die Zeitläufe, sondern es wird in allen penibel aufgeführt, wer neu in die Nachbarschaft eintrat, wer verstarb und wer für diesen Verstorbenen den letzten Dienst der Totenwache,des Grabläutens und des zu Grabetragens verrichtete; auch die Kassenführung findet trotz der spärlichen Einnahmen darin ihren Niederschlag. Teilweise wird auch die Wetterlage des vergangenen Jahres, die Weinernte sowie wichtige Zeitgeschehnisse in den Nachbarschaftsbüchern aufgezeichnet.

Die Nachbarschaften hatten jeweils die Pflichten und Rechte ihrer Mitglieder in einer Satzung zusammengefasst, wobei sich die einzelnen Satzungen ähnelten. Der Zweck des Nachbarschaftsverbands bestand in der Hilfeleistung bei Sterbefällen und der Instandhaltung der Brunnen.
Die Mitgliedschaft der Familienangehörigen und des Gesindes, ob im eigenen Haus oder zur Miete wohnend, war ebenfalls geregelt.
Der Nachbarschaft stand ein Brunnenmeister vor, der die Geschäfte führte und dessen Amtszeit sich über ein Jahr – vom ersten Montag nach Johanni bis zum selben Tag des folgenden Jahres – erstreckte.
Trat ein Sterbefall ein, so hatte er für jeden Abend, den der Leichnam im Sterbehaus lag, sechs Personen zurNachtwache zu bestellen; ebenso benannte er die Personen zum Läuten und die Träger in der Reihenfolge der Häuser.

Erst ab 1944 nutzte man gegen ein Entgelt den Bacharacher Leichenwagen. Fünf Jahre später wurde von allen Nachbarschaften ein eigener Totenwagen angeschafft.
Die Nachbarn selbst – Mann und Frau – hatten der Trauerfeier beizuwohnen. Als Entschuldigung galten nurunaufschiebbare Angelegenheiten oder Krankheit.

Der jeweilige Brunnenmeister hatte die Utensilien zum Brunnenfegen – die Brunnenstanne (Wasserbottisch) und das Seil– trocken aufzubewahren.
Am Sonntag vor Johanni hatte er die Nachbarschaft zusammenzurufen, um mit ihr das Fegen der Brunnen zu beraten. Wurde den verschiedenen Pflichten nicht nachgekommen, musste eine Strafgebühr entrichtet werden.
Durch den Anschluss aller Haushalte an die öffentliche Wasserversorgung im Jahr 1898 waren die vorhandenen Brunnennicht mehr lebensnotwendig, verschmutzten und wurden zugeschüttet oder überbaut.

Die beiden letzten öffentlich zugänglichen Brunnen an der Borbachstraße – der eine in der Nachbarschaft „Lennenborn“, der andere wenige Meter oberhalb in der Nachbarschaft „mittlere Borbach“ – mussten in den Jahren 1967-70 zwei Wohnhausneubauten weichen.
Trotz des Wandels der Zeiten sind die Nachbarschaften noch aktiv und aus dem dörflichen Geschehen nicht wegzudenken. Der letzte Dienst des Tragens Verstorbener zur Ruhestätte hat sich erhalten. Auch im sozialen Bereich wird Hilfe geleistet. Nach wie vor werden die Nachbarschaftsbücher geführt, die heute auch das Geschehen in der Nachbarschaft und im Ort Jahr für Jahr festhalten.
Das Fegen der Brunnen ist entfallen, geblieben ist das gemeinsame Treffen zum Frühschoppen am Kirmesmontag, welches die Tradition der gemeinsamen Brunnenfahrt bis heute fortsetzt.